Meinung: Law-and-Order, oder warum für die CDU alle Bürger*innen verdächtig sind

Martin Zöller, Grüner IT- und Datenschutzexperte zu den Forderungen nach mehr Videoüberwachung in Velbert

Im laufenden Wahlkampf kann man sehr gut erkennen, mit welchem Profil die einzelnen Parteien wahrgenommen werden möchten. Exemplarisch sei hier die CDU genannt, ähnliche Forderungen gibt es aber aktuell auch von der UVB im Kontext mit Schloss Hardenberg. Die CDU generiert sich dabei als Hardcore Law-and-Order Partei, die Spielplätze per Video überwachen möchte. Sekundiert wird diese Forderung dann beispielsweise von einem Bürger auf Facebook, der eigenen Aussagen nach an einem Spielplatz / Park leere Pizzakartons entdeckt hat.

Bei den Diskussionen darf man allerdings die indirekte Aussage der „Law-and-Order“ Fraktionen nicht übersehen: „Alle Bürger sind per se verdächtig“. Sie plädieren also für eine Stigmatisierung von Nutzer*innen von öffentlichen Räumen. Durch die Anbringung einer Videoüberwachung wird signalisiert, dass es sich um einen gefährlichen Ort handelt, was sicherlich, um bei dem Beispiel Spielplatz zu bleiben, alles andere als gewollt sein kann.

Des Weiteren bedeutet die Forderung der CDU, überwiegend Ordnungswidrigkeiten mit einem massiven Grundrechtseingriff zu begegnen. Es geht dabei um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz). Das bedeutet konkret: „Jeder hat das Recht sich in der Öffentlichkeit frei und ungezwungen zu bewegen“, ohne befürchten zu müssen, ungewollt von Videokameras beobachtet zu werden.

Grundsätzlich ist nach §20 DSG NRW die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Flächen zulässig, wenn es um die Wahrung des Hausrechts geht. Darüber hinaus ist sie auch erlaubt zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, zur Verfolgung von Straftaten (nicht Ordnungswidrigkeiten!), aber immer nur insofern, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen das schutzwürdige Interessen betroffener Personen überwiegen (§20 DSG NRW Abs. (3)). Darüber hinaus ist die Notwendigkeit zu prüfen. Sollte es ein milderes Mittel geben, um das Ziel zu erreichen, ist die Videoüberwachung unzulässig. Solche Mittel könnten zum Beispiel Nachtstreifen des Kommunalen Ordnungsdienstes, Aufmerksamkeitskampagnen oder andere Projekte aus der Bürgerschaft sein.

Grundsätzlich wird für Flächen, die dem Gemeingebrauch unterliegen, die Abwägung der Interessen in der Regel zugunsten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger ausfallen. Das Landesamt für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen (LDI NRW) führt dies auf den Umstand zurück, dass die Schutzbedürftigkeit in öffentlichen Räumen regelmäßig hoch ist, da sich Menschen typischerweise zur Entfaltung sozialer Kommunikation länger an solchen öffentlichen Orten aufhalten. Darüber hinaus entfaltet der überwiegend verdachtslose Eingriff eine örtliche Verdrängungswirkung, insbesondere weil eben gerade zahlreiche (unverdächtige) Bürger*innen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme kommen, die dem Fehlverhalten Einzelner geschuldet ist. Kurz gesagt: Die Maßnahme der Videoüberwachung ist regelmäßig unverhältnismäßig (22. Bericht des LDI NRW, 2015, Kapitel 6.2, S. 59 f). An dieser Stelle sei noch der Hinweis erlaubt, dass auch Kamera-Attrappen rechtswidrig sein können, da sie ebenfalls einen Überwachungsdruck erzeugen können (LG Essen AZ 12 O 62/18).

Hier muss also eine gesellschaftlich getragene Abwägung erfolgen zwischen der Einschränkung von Persönlichkeitsrechten einerseits und andererseits dem subjektiven Schutzbedürfnis vor dem Fehlverhalten Einzelner. Außerdem müssen die Grenzen eines solchen Grundrechtseingriffs klar abgegrenzt sein. Eine „pauschale“ Forderung nach mehr Videoüberwachung führt sonst zur totalen Überwachung („Du hast doch nichts zu verbergen oder etwa doch?“).

Betrachten wir nun den Wirksamkeitsaspekt von Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum. Zur Bewertung der Wirksamkeit wird in der Regel eine Meta-Studie von Welsh & Farrington aus 2003/2004 herangezogen. Dabei wurden 44 Studien zum Thema Videoüberwachung untersucht. Für bestimmte Kriminalitätsdelikte (Fahrzeugdiebstahl in Tiefgaragen in England) wurden positive Auswirkungen beobachtet. Diese Auswirkungen sind aber in Kombination mit anderen Sicherungsmaßnahmen zu bewerten. Eine monokausale oder gar eine generelle Wirksamkeit ist nicht zu belegen. Dieses Resultat fasst das Deutsche Forum Kriminalprävention folgendermaßen zusammen: „Die Kombination von Videoüberwachung mit weiteren Maßnahmen und die Konzentration auf spezifische Deliktarten und Kontexte scheinen wesentliche Determinanten des Erfolgs zu sein.“ Aktuelle Evaluationsstudien (z.B. Ratcliffe & Groff, 2018) zeigen dagegen praktisch keine kriminalitätssenkenden Effekte.

Zusammenfassend muss man also feststellen: Die Einführung der Videoüberwachung anhand der von der CDU genannten Beispiele ist eine populistische Forderung um sich das Profil einer „Law-and-Order“ Partei zu geben. Den Einschränkungen von Freiheitsrechten steht praktisch kein belegbarer Nutzen gegenüber. Im „besten“ Fall kommt es zu einem Verdrängungseffekt.

Videoüberwachung ist also nicht das ultimative „Allheilmittel“ als das es die „Law-and-Order“- Fraktionen gerne verkaufen, sondern im Gegenteil – insbesondere für Gemeinflächen –zumeist rechtswidrig.

Martin Zöllner, Velbert den 08.09.20

Quellen:

https://www.ldi.nrw.de

https://www.kriminalpraevention.de

https://soztheo.de

https://journals.sagepub.com

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