Bewertung des Entwurfs des Kohleausstiegsgesetzes der Bundesregierung

Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag

Oliver Krischer, Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen: Bewertung des Entwurfs des Kohleausstiegsgesetzes der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat am 29. Januar 2020 im Kabinett den Entwurf für ein Kohleausstiegsgesetz1 beschlossen. Der Entwurf sieht vor, dass Deutschland bis 2038 aus der Kohle aussteigt. Leider hat die Bundesregierung weder den Beschluss der von ihr eingesetzten Kohlekommission 1:1 umgesetzt, noch bewegt sie sich mit dem vorgelegten Entwurf auf dem notwendigen Pfad, um die Klimaziele 2030 zu erreichen oder gar die Pariser Klimaschutzziele zu erfüllen.

Hintergrund

Die Bundesregierung hatte die sogenannte Kohlekommission (Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung/ WSB-Kommission) eingesetzt, um u.a. einen Instrumentenmix zu entwickeln, der einen Interessensausgleich schafft, und einen Plan für eine schrittweise Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung formuliert. Die Kohlekommission hat nach 8 Monaten Beratung im Januar 2019 ihren Bericht beschlossen und vorgelegt. Ein Jahr später hat nun die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zum Kohleausstieg beschlossen, der allerdings in maßgeblichen Punkten von den Vorschlägen der Kommission abweicht.

Zentrale Punkte des Gesetzentwurfs

Die zentralen Schritte zur Reduzierung der Kraftwerkskapazitäten bis zum Ende der Kohleverstromung wurden im Gesetzentwurf aus dem Bericht der Kohlekommission übernommen. Bis Ende 2022 sollen die Kapazitäten für Steinkohle auf 15 GW und für Braunkohle ebenfalls auf 15 GW Braunkohle reduziert werden. Bis Ende 2030 soll sich dann die Kraftwerksleistung bei Steinkohlekraftwerken auf 8 GW, bei Braunkohle auf 9 GW reduzieren. Ende 2038 sollen dann spätestens alle Kraftwerke vom Netz sein, wobei sowohl der Kommissionsbericht als auch der Gesetzentwurf einen früheren Ausstieg im Jahr 2035 als Option formulieren. Dabei sind für Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke unterschiedliche Verfahren vorgesehen, die darüber entscheiden, welche Kraftwerke wann vom Netz gehen. Es soll zudem jeweils am 15. August in den Jahren 2022, 2026, 2029 und 2032 Überprüfungen der Annahmen und des Ausstiegsfahrplans geben.

Um den Ausstieg zu strukturieren, hatte die Kohlekommission zwischen den festgelegten Jahreszahlen für 2022, 2030 und 2035/38 eine stetige Reduktion von Stein- und Braunkohlekraftwerkskapazitäten vorgeschlagen. Dies hat die Bundesregierung nicht umgesetzt.

Braunkohle

Abschaltung von Braunkohlekraftwerken

Für die Braunkohlekraftwerke hat die Bundesregierung gemeinsam mit den vier betroffenen Ländern eine Vereinbarung2 getroffen, in welcher Reihenfolge und zu welchen Zeitpunkten die Braunkohlekraftwerke vom Netz gehen sollen. Die Abschaltungen sind jedoch nicht kontinuierlich vorgesehen, sondern sind überwiegend Ende der 20er Jahre und 2038 vorgesehen. Diese Planung wird dazu führen, dass gerade das stetige Absinken der CO2-Emissionen verhindert wird und somit mehr Emissionen ausgestoßen werden, als der Kommissionbericht vorsieht.

Auslaufen der Tagebaue, insbesondere Garzweiler II und Hambach

Ein absolutes Novum ist es, dass die Bundesregierung im Rahmen des im Gesetzentwurf vorgesehenen Vertrages mit den Betreibern zur Regelung der Details des Kohleausstiegs, die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II feststellen möchte. Bisher oblagen die Planung und die Festsetzung von Tagebauen den Ländern. Mit dieser Festsetzung legt die Bundesregierung fest, dass die verbleibenden Dörfer und Höfe im Bereich des Tagebaus Garzweiler II, die noch nicht gerettet werden konnten, abgebaggert werden können.

Auch im Bereich des Tagebaus Hambach bleibt die Frage, wie genau der Tagebau weitergeführt werden wird. Im eigentlichen Gesetzentwurf finden sich nämlich keine Aussagen zum Tagebau Hambach oder zum Erhalt des Hambacher Waldes. In der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern hieß es noch: „Durch diesen Stilllegungspfad wird erreicht, dass der Hambacher Forst gemäß Empfehlung der WSB-Kommission entgegen der bisherigen Genehmigung nicht für den Tagebau in Anspruch genommen wird.“3

Entschädigung in der Braunkohle

Seit der Bund-Länder-Vereinbarung ist klar, dass der Bund 2,4 Milliarden Euro an den Braunkohlekraftwerks- und Tagebaubetreiber im Rheinland und 1,75 Milliarden Euro an den Braunkohlebetreiber in der Lausitz zahlen wird. Dies ist im Gesetz bisher in der Ermächtigung für den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages als Regelungspunkt vorgesehen. Mit den Zahlungen deckelt der Bund gleichzeitig alle zukünftigen Ansprüche gegenüber dem Bund, z.B. im Zusammenhang mit Rekultivierungsmaßnahmen. Unklar ist bisher, auf Basis welcher Kriterien die Bundesregierung zu den entsprechenden Summen gekommen ist, da eine Vielzahl der Kraftwerke eigentlich bereits abgeschrieben sind und Rekultivierungsmaßnahmen grundsätzlich in der Verantwortung des Bergbautreibenden liegen. Dies sind Fragen, die es noch zu klären gilt.

2) Bund-Länder-Einigung zum (Braun-)Kohleausstieg vom 15.01.2020

3) Bund-Länder-Einigung zum (Braun-)Kohleausstieg vom 15.01.2020

Steinkohle

Steinkohlekraftwerke: Abschaltung und Entschädigung

Für die Abschaltung der Steinkohlekraftwerke sieht der Gesetzentwurf ein dreistufiges Verfahren vor. Im Zeitraum zwischen 2020 und 2026 sollen die Kapazitäten, die abgeschaltet werden sollen, durch Ausschreibungen bestimmt werden. Für die Kraftwerke, die auf Grund der Ausschreibung abgeschaltet werden, erhalten die Unternehmen eine Entschädigung. In einem zweiten Schritt in den Jahren 2025 und 2026 werden die Ausschreibungen durch Ordnungsrecht flankiert und Kraftwerke per Anweisung stillgelegt, sollten nicht ausreichend freiwillige Gebote im Rahmen der Ausschreibung erfolgen. Nach 2026 werden Steinkohlekraftwerke nur noch per Anweisung stillgelegt. Im Gesamten Verfahren werden u.a. das Alter der Kraftwerke sowie die Bedeutung des jeweiligen Kraftwerks für das Stromnetz als zentrale Punkte berücksichtigt.

Neben reinen Abschaltungen der Kraftwerke besteht für Steinkohlekraftwerksbetreiber auch die Möglichkeit, mit einer zusätzlichen Förderung das Kohlekraftwerk in ein Gaskraftwerk mit Kraftwärmekopplung (KWK) umzubauen und dafür Mittel über das Kraftwärmekopplungsgesetz (KWKG) zu erhalten. Dies ist besonders an jenen Standorten interessant, an denen aktuell Steinkohlekraftwerke auch zur Wärmeversorgung beitragen, indem sie in ein Fernwärmenetz einspeisen.

Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerks Datteln 4

Nach dem Gesetzentwurf wird das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 noch ans Netz gehen. Damit wird zu Beginn des Kohleausstiegs nun erst noch einmal das letzte Steinkohlekraftwerk in Westeuropa in Betrieb genommen. Die Kohlekommission hatte sich hingegen darauf verständigt, dass Kraftwerke, die noch nicht am Netz sind, nicht mehr in Betrieb genommen werden dürfen. Anders als zunächst angekündigt, hat die Bundesregierung jedoch nun scheinbar Maßnahmen ergriffen, um die durch Datteln 4 zusätzlich ausgestoßenen Emissionen durch zusätzliche Abschaltungen vermutlich annähernd auszugleichen.

Weitere wichtige Regelungen

Anpassungsgeld für Beschäftigte

Zur Abfederung der sozialen Folgen des Kohleausstiegs sieht der Gesetzentwurf ein Anpassungsgeld für die Beschäftigten in Kraftwerken und Tagebauen vor, die mindestens 58 Jahre alt sind, wenn ihr Arbeitsplatz auf Grund einer Stilllegungsanordnung wegfällt. Zur Regelung der Details sieht der Gesetzentwurf vor, dass diese durch das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesarbeitsministerium geregelt werden sollen. Im Vorblatt des Gesetzentwurfs schätzt die Bundesregierung die Gesamtkosten des Anpassungsgeldes bei maximaler Inanspruchnahme auf bis zu 5 Milliarden Euro. Wie die Bundesregierung auf die Summe gekommen ist, ist im Gesetzentwurf nicht näher erläutert.

Löschung von Emissionszertifikaten

Der im Gesetzentwurf enthaltene Mechanismus zur Löschung der Emissionszertifikate nach Abschaltung der Kraftwerke ist unklar und schwer nachvollziehbar. Am Ende hängt es am „good-will“ der Bundesregierung, ob ausreichend Zertifikate gelöscht werden. Denn durch zwei Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesumweltministeriums soll am Ende entschieden werden, ob und in welchem Umfang Emissionszertifikate über den ohnehin vorhandenen Mechanismus der Marktstabilitätsreserve im Europäischen Emissionshandel gelöscht werden sollen. Dieser Mechanismus greift allerdings nur, wenn grundsätzlich zu viele Zertifikate im Markt vorhanden sind. Sofern sie an anderer Stelle Verwendung finden, z.B. durch stärker ausgelastete Kraftwerke in anderen EU-Mitgliedsstaaten, werden die Zertifikate damit nicht dem Markt entzogen.

Grüne Bewertung

Bundesregierung setzt mit ihrem Gesetzentwurf die Empfehlungen der Kohlekommission nicht 1:1 um. Damit verpasst sie die Chance den gesellschaftlichen Konflikt zu beenden. Gerade die Empfehlungen der Kommission für den Klimaschutz werden im Gesetzentwurf nicht umgesetzt. Damit ist nicht sichergestellt, dass die Bundesregierung ihre Klimaziele für 2030 erreicht, geschweige denn das Pariser Klimaschutzabkommen erfüllt.

Dabei hat die Bundesregierung selbst die Kohlekommission eingerichtet, die einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen innerhalb von 8 Monaten erarbeitete. Nun will die Bundesregierung ein Jahr nach der Vorlage des Berichtes von diesem hart erarbeitetes Ergebnis in weiten Teilen abzuweichen. Einige Punkte sind dabei:

  • Gar nicht nachvollziehbar ist, dass die Bundesregierung den Kohleausstieg mit der Inbetriebnahme eines Kraftwerks einleiten will. Das ist ein fatales Signal!
  • Die ersten Abschaltungen bis 2022 orientieren sich an dem, was die Kohlekommission verabschiedet hat. So wird die Nettoleistung durch Abschaltungen bei Braunkohle- und Steinkohle auf jeweils 15 GW reduziert. Damit wird ein zentraler Punkt erfüllt: Der Kohleausstieg beginnt endlich.
  • Die Abschaltung der Braunkohlekraftwerke, die laut Bericht der Kohlekommission stetig erfolgen sollte, wurde durch die Bundesregierung nach hinten verschoben. Dabei hatte die Kohlekommission in ihrem Ergebnis festgehalten, dass stetige Abschaltungen jeweils von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken vorgenommen werden sollen, stattdessen sollen die Braunkohlekraftwerke jetzt hauptsächlich Ende 2028/29 und Ende 2038 abgeschaltet werden. Der Klimaschutz erfordert aber ein schnelleres und früheres abschalten. Denn jede Tonne CO2 die nicht mehr freigesetzt wird, ist gut für den Klimaschutz.
  • Durch den nun vorgelegten Abschaltplan für Braunkohle- und Steinkohlekapazitäten kann es am Ende zu einem zusätzlichen Ausstoß von bis zu 180 Mio. Tonnen CO2 im Ver-gleich zu den Vorschlägen der Kohlekommission zur jeweils stetigen Abschaltung von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken kommen.
  • Nicht nachvollziehbar ist auch, warum die Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht weiter vorantreibt. Denn der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein zentrales Element des Kohleausstiegs. Die Kohlekommission hat festgehalten, dass die Erneuerbaren Energien bis 2030 auf 65% ausgebaut werden müssen. Deshalb muss der weitere Ausbau von Windenergie sowohl an Land als auch auf See und von Solar vorangetrieben werden. Anstatt die Windenergie zu entfesseln und den Solardeckel aufzuheben, diskutiert die Bundesregierung über Abstandsregelungen zur Verhinderung von Windenergieanlagen und hat Ende des Jahres gegen die Abschaffung des Solardeckels gestimmt.
  • Es ist wichtig, die Regionen und die Arbeitnehmer*innen beim Strukturwandel zu unterstützen. Allerdings kann es nicht sein, dass die Braunkohlekonzerne aus Steuergeldern Entschädigungen in Milliardenhöhe ohne Gegenleistung erhalten. Die meisten Braunkohlekraftwerke sind so alt, dass sie ohnehin hätten abgeschaltet werden sollen. Für die Rekultivierung der Tagebaue müssen die Unternehmen ohnehin nach aktueller Rechtslage Rückstellungen bilden. Deshalb ist es nicht nachzuvollziehen, warum jetzt Milliarden Euro an diese Unternehmen fließen sollen.
  • Die Bundesregierung will nun trotz des Kohleausstiegs festlegen, dass Menschen noch ihre Heimat verlieren, weil ein Tagebau weiter ausgekohlt werden soll, obwohl es andere Möglichkeiten zur Gestaltung der Tagebaue und zum Gewinn von ausreichend Kohle bis zum Ende der Kohleverstromung gibt. Im Jahr 2020, bei einem Anteil von über 40 % Erneuerbaren am Strommix, kann es nicht sein, für einen Tagebau noch eine energiepolitische Notwendigkeit zu erklären.

Weitere Schritte

  • Der Gesetzentwurf wurde dem Bundesrat zugeleitet. Dieser hat nun bis Mitte März Zeit zu einer Stellungnahme. (Es handelt sich beim Kohleausstiegsgesetz um ein Einspruchsgesetz, daher sind die Möglichkeiten für Verbesserungen der Länder begrenzt.)
  • Sofern der Gesetzentwurf nicht durch die Koalitionsfraktionen in den Bundestag eingebracht wird, kommt der Gesetzentwurf dann aus dem Bundesrat in den Bundestag.

Bewertung GE Kohleausstiegsgesetz [pdf, 392 kb]

Aufruf Umsetzung Kohlekommission [doc, 16 kb]

Fußnoten:

  1. Entwurf eines Gesetzes zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohlverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze
  2. Bund-Länder-Einigung zum (Braun-)Kohleausstieg vom 15.01.2020
  3. Bund-Länder-Einigung zum (Braun-)Kohleausstieg vom 15.01.2020

 

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld

Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.

Verwandte Artikel