BTW ´17: Digital First. Nachdenken Second. Oder: Warum man Christian Lindner nicht alles glauben sollte

(Fotomontage: In Anlehnung an ein Wahlplakat der Christian-Linder-Partei – äh: F.D.P.)

Mit kernigen Sprüchen buhlt derzeit der mäßig gut rasierte Enddreißiger um Wählerstimmen. Seine Partei muss aus der außerparlamentarischen Opposition heraus, um die Erwartungen ihrer Großspender zu erfüllen (siehe z. B. Die Welt vom 1. August 2017: Großspender bevorzugen CDU und FDP).

Natürlich heißt es bei Lindner nicht „Nachdenken“, sondern „Bedenken“. Dass man möglicherweise doch nicht so naiv wie der studierte Politikwissenschaftler an ein so komplexes Thema herangehen sollte, lässt sich an zwei aktuellen Ereignissen der letzten Tage zeigen.  So meldet der in IT-Kreisen angesehene Heise-Verlag, wie auch zahlreiche andere Medien am 8.9.2017: Hacker-Jackpot: Credit Bureau Equifax gehackt.

Equifax ist nun nicht irgendein amerikanischer Finanzdienstleister. Das Unternehmen ist die größte Wirtschaftsauskunftei der USA. Laut heise.de sind „Kreditkarten-, Sozialversicherungs- und Ausweisnummern von mehr als Hundert Millionen US-Amerikanern in falsche Hände gelangt, als Equifax monatelang gehackt war. Dazu kommen weitere Opfer in Kanada und dem Vereinigten Königreich“. Es geht hier also nicht persönliche Daten wie bei Facebook, also ob Sie gerne Rihanna hören oder den FC Bayern gut finden. Hier geht es um hochgradig sensible Finanzdaten.

Der auf Wirtschaftsfragen spezialisierte Informationsdienst Bloomberg meldet, dass Equifax einer millionenschweren Klage entgegen sieht Equifax Faces Multibillion-Dollar Lawsuit Over Hack.  In der Klage heißt es laut Bloomberg, dass Equifax aus Kostengründen darauf verzichtet habe, Kundendaten angemessen zu schützen.

Der zweite Fall betrifft uns als Wählerinnen und Wähler direkt und wurde am 7. September 2017 vom Chaos Computer Club bekannt gemacht (http://www.ccc.de/de/updates/2017/pc-wahl). Hacker des Chaos Computer Clubs (CCC) haben eine in mehreren Bundesländern zur Erfassung und Auswertung der kommenden Bundestagswahl verwendete Software auf Angriffsmöglichkeiten untersucht. Die Analyse ergab eine Vielzahl von Schwachstellen und mehrere praktikable Angriffsszenarien. Diese erlauben die Manipulation von Wahlergebnissen auch über die Grenzen von Wahlkreisen und Bundesländern hinweg. Die untersuchte Software „PC-Wahl“ wird seit mehreren Jahrzehnten für die Erfassung, Auswertung und Präsentation von Wahlen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene eingesetzt.

Drei Wochen vor der Bundestagswahl wird also – übrigens von Hackern, nicht von deutschen „Sicherheits“-Behörden – entdeckt, dass die Software zur Erfassung und Auswertung der Wahlergebnisse gravierende Sicherheitslücken hat. Das Ganze passiert in einer Zeit, wo Populisten, denen nicht ein Wahlergebnis nicht gefällt schnell mit Rufen nach Neuauszählung bei der Hand sind oder in denen jeder zweite Politiker, dem man ein Mikrofon vor die Nase hält, „russische Wahlfälschung“ hineinruft.

„Digital first, Bedenken second“, meint Lidner das wirklich immer noch ernst?

Ist es nicht vielleicht so, dass auch bei der „Digitalisierung“, wie bei der Kernenergie, dem Einsatz von Pestiziden, Asbest, PCB, Contergan usw.  mal wieder eine gewaltige Lücke klafft zwischen den Möglichkeiten, eine Technik oder ein Produkt falsch (oder sogar illegal) einzusetzen und den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen?

Natürlich bietet die Digitalisierung unglaubliche Chancen zur Verbesserung unseres Lebens. Aber wie bei jeder anderen Technologie auch (und sie ist eben auch nur eine weitere Technologie, kein „Stein der Weisen“), gilt es die möglichen Gefahren nüchtern zu prüfen und die erforderlichen Sicherheitsmechanismen wo immer nötig staatlich durchzusetzen, ohne dabei die Chancen der Technik unnötig einzuschränken. Dies ist aber wahrscheinlich für Christian Lindner zu kompliziert.

Wir schlagen deshalb vor: „Nachdenken First. Schlau Sprüche Second“.

Nachtrag 12.09.2017:  „Millionen-Panne bei der Lkw-Maut“

Heute berichtet die Tagesschau unter dem Titel „Millionen-Panne bei der Lkw-Maut“, dass dem Bund wegen eines Fehlers im Abrechnungssystem offenbar Einnahmen von mehreren Millionen Euro entgangen sind.

Da davon auszugehen ist, dass diese Berechnungen nicht mit Papier und Bleistift gemacht werden, sondern hier wohl auch eine Software – sprich, „die Digitalisierung“ – zuständig ist, sehen wir innerhalb weniger Tage nun schon den dritten Beweis dafür, dass ein wenig Vorsicht bei allem „Digitalen“ angebracht erscheint – und dass Lindners Slogan einfach nur platt ist. Außerdem können wir hier wieder sehen, wie naiv die Bundesregierung mit digitaler Technik umgeht.

Es bleibt also Schlimmes zu erwarten, falls demnächst eine offensichtlich digital völlig inkompetente CDU/CSU (zuständig sind der Diesel-Vertuschungsminister Dobrindt von der CSU und natürlich die CDU-Kanzlerin, für die das Internet noch im Jahr 2013 „Neuland“ war) gemeinsam mit einer ebenso unbeleckten FDP (Digital First. Nachdenken second.) die Geschicke dieses Landes lenken sollte.

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