Gastbeitrag des Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter, erschienen auf t-online.de am 6. Juni 2021
Klimaschutz wird die Gesellschaft fordern, er darf aber nicht überfordern. Das ist machbar. Die politische Konkurrenz muss sich der Debatte stellen statt falsche Ängste zu schüren, schreibt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im Gastbeitrag.
Ambitionierter Klimaschutz ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit. Der Weg zur Klimaneutralität bedeutet erhebliche Veränderungen in fast allen Lebensbereichen – von der Industrie bis zum Energiesektor, von der Art, wie wir mobil sind bis zu der, wie wir wohnen.
Die ökologische Modernisierung hat ein riesiges Potenzial und unzählige Chancen, die wir ergreifen müssen. Sie wird neue Jobs und nachhaltigen Wohlstand schaffen; Investitionen in saubere Zukunftstechnologien stärken unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Klimaschutz macht unsere Städte und ländlichen Räume lebenswerter. Er schützt und fördert unsere Gesundheit, weil wir der klimabedingten Zunahme an Allergien, Pollenflug, chronischen Erkrankungen und Infektionskrankheiten Einhalt gebieten.
Und er bedeutet vielfach auch ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, weil Klimaschutz die Situation von Menschen mit geringen Einkommen in vielen Situationen verbessert. So sind es diejenigen mit wenig Geld, die häufiger an dreckigen Straßen wohnen und schlechte Luft einatmen. Sie sind es auch, die sich am wenigsten vor der Hitze schützen können, weil das Geld für den Wärmeschutz nicht reicht.
Eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung erkennt die Notwendigkeit und die Chancen der sozial-ökologischen Modernisierung. Das zeigen nicht zuletzt die vielen Unternehmen, die sich längst aufgemacht haben, die Aktionen und Kooperationen der Zivilgesellschaft, die Bündnisse aus Umwelt- und Sozialverbänden, Gewerkschaften und Klimaaktivist*innen, von Wissenschaft und Wirtschaft: Unsere Gesellschaft ist beim Klimaschutz viel weiter als große Teile der Politik.
Ängste und Sorgen ernst nehmen
Viele Menschen haben zugleich Fragen und Sorgen mit Blick auf die anstehenden Veränderungen. Die Beschäftigten der Autoindustrie sorgen sich, was die Umstellung auf nachhaltige Mobilität und elektrische Antriebe für ihre Arbeitsplätze bedeutet. Menschen auf dem Land fragen sich, wie sie in Zukunft mobil sein werden. Hauseigentümer sehen den Aufwand und die Kosten eines Heizungstausches oder einer umfassenden Sanierung auf sich zukommen. Mieterinnen und Mieter sorgen sich über weiter steigende Mieten.
Der ausschließliche Verweis auf die Chancen der ökologischen Modernisierung in der Zukunft ist für sie keine befriedigende Antwort. Die Herausforderungen liegen im Hier und Jetzt, im Übergangsprozess der Modernisierung. Umso wichtiger ist es, die berechtigten Sorgen und Ängste ernst zu nehmen und den Betroffenen Angebote für den Übergang zu machen. Sie sollen Akteure des Wandels werden können, benötigen Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten beim Modernisierungsprozess.
Nichts ist gefährlicher für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, als wenn breite Bevölkerungsteile das Gefühl haben, ihnen würde etwas gegen ihren Willen übergestülpt.
Vertrauen in den Klimaschutz nicht aufs Spiel setzen
Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft brauchen wir deshalb eine ehrliche und gemeinsame Debatte, wie wir den Weg zur Klimaneutralität organisieren. Wie es dabei gerecht zugeht, wer welche Belastungen tragen kann und muss, welche Rolle Staat, Markt und jeder Einzelne dabei hat.
Sozial gerechter Klimaschutz ist machbar. Es ist deshalb kontraproduktiv und unverantwortlich, soziale Ängste zu schüren. Polemik und Polarisierung helfen weder den Menschen noch dem Klimaschutz. Wer Klimaschutz und sozialen Ausgleich als vermeintliche Gegensätze gegeneinander ausspielt, entweder, weil er sich daraus einen Nutzen im Wahlkampf verspricht oder um die eigene Konzeptlosigkeit zu kaschieren, der schürt die Verunsicherung und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Leider sind sich zahlreiche Vertreter*innen von Union, SPD, Linke und FDP nicht zu schade, mit Falsch- und Lückenkommunikation den aktuellen Debattenstand oder gar eigene Positionen zu ignorieren. Sie sollten endlich aufhören im Allgemeinen Ängste zu schüren und sich der konkreten Diskussion stellen.
In den letzten drei Jahren haben wir Grüne in unzähligen Debatten gemeinsam mit den Gewerkschaften, den Unternehmen und den Umweltverbänden nach Lösungen gesucht. Klimaschutz bedeutet Veränderung und er wird uns alle fordern. Aber er soll eben niemanden überfordern. Klimaschutz muss für alle und überall möglich und bezahlbar sein. Denn für den Umbau in eine zukunftsfähige und nachhaltige Wirtschaftsweise brauchen wir jede und jeden. Nur, wenn wir die Veränderungen für alle Menschen tragbar und attraktiv machen, werden wir auch echten Klimaschutz erreichen.
Folgende Punkte sind hierfür entscheidend:
- Alternativen ermöglichen
Die allermeisten Menschen fahren derzeit noch mit Benzinern und Dieseln, sie heizen mit Gas und Öl. Das ist der Status quo und keiner sollte dafür verurteilt werden. Diese Menschen fragen sich, was Klimaschutz für sie in ihrem Alltag bedeutet. Deshalb ist zuallererst entscheidend, dass überhaupt klimaneutrale Alternativen vorhanden sind. Dafür sind Politik und die Industrie in der Pflicht.
Das ist genau der Grund, warum wir – anders als Union und FDP – nicht allein auf den CO2-Preis setzen. Es wird nur mit einem Mix aus verschiedenen Instrumenten funktionieren. Wer auf komplexe Fragen einfache Antworten gibt, hat entweder nicht lange genug nachgedacht oder macht den Menschen etwas vor. Für klimaneutrale Alternativen braucht es auch das Ordnungsrecht, also Ge- und Verbote. Die massive Technologieentwicklung bei den Erneuerbaren hat nicht der europäische Emissionshandel herbeigeführt, sondern das EEG. Die Innovationen beim E-Auto haben die europäischen Flottengrenzwerte geschaffen. Richtig gemachtes Ordnungsrecht wirkt wesentlich stärker sozial ausgleichend als alles über den Preis zu regeln.
Der Weg zum emissionsfreien Auto führt deshalb für uns eben nicht allein über steigende CO2-Preise, sondern auch über ambitionierte Flottengrenzwerte, die die Autoindustrie verpflichten, schnell und in allen Segmenten emissionsfreie Autos auf den Markt zu bringen. Und wir ergänzen das mit einer massiven Investitionsoffensive für bessere Bahnen und einen starken ÖPNV, sowie für mehr sozialen und klimaneutralen Wohnraum.
- Entlastung durch Energiegeld für jede und jeden
Die CO2-Bepreisung ist zentrales Instrument der Klimaschutzpolitik. Sie sorgt dafür, dass sich klimafreundliche Alternativen und Verhalten auch finanziell lohnen. Damit höhere CO2-Preise sozial gerecht sind, wollen wir alle Einnahmen in Form eines Energiegelds pro Kopf an die Menschen zurückgeben.
Pro Kopf ergeben sich 75 Euro, wenn wir den CO2-Preis 2023 auf 60 Euro anheben. Es gilt: je höher der CO2-Preis, desto höher das Energiegeld. Wer wenig fossile Energie verbraucht, hat am Ende des Jahres ein Plus, wer viel verbraucht, ein Minus.
Grundsätzlich gilt: Menschen mit hohen Einkommen verbrauchen auch mehr CO2. Sie haben größere Häuser und größere Autos, sie fliegen häufiger. Sie zahlen also mehr. Viele Studien, zum Beispiel von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, zeigen, dass ein CO2-Preis mit einem fairen Ausgleich wie dem Energiegeld sozial gerecht wirkt.
- Klimazuschüsse für Pendler*innen und Eigentümer*innen mit niedrigen Einkommen
Menschen mit niedrigen Einkommen, die heute in einem schlecht gedämmten Haus mit einer Öl- oder Gasheizung wohnen oder die mit einem alten Benziner jeden Tag lange Strecken zur Arbeit pendeln müssen, machen sich verständlicherweise größere Sorgen, was steigende Preise für sie bedeuten, als Gutverdienende in der Stadt. Wer jeden Cent zweimal umdrehen muss, für den sind die Kosten eines E-Autos oder einer Wärmepumpe mit den bisherigen Hilfen kaum zu stemmen.
Der Umstieg auf klimaneutrale Alternativen soll aber für alle bezahlbar sein. Deshalb schlagen wir einen Klimagerechtigkeitsfonds mit Klimazuschüssen vor, der den Umstieg auch für diese Einkommensgruppen möglich macht. Hierfür stellen wir über einen Zeitraum von zehn Jahren jährlich eine Milliarde Euro zur Verfügung. Menschen mit niedrigen Einkommen bekommen daraus eine hohe Förderung und zinslose Kredite für die Anschaffung eines E-Autos oder den Einbau einer Wärmepumpe bzw. einer Dämmung. Die Kredite können sie dann über die eingesparten Benzin- bzw. Heizkosten zurückzahlen.
Konkret heißt das: Heute kann eine neue Wärmepumpe mit bis zu 9.000 Euro bezuschusst werden, ein E-Fahrzeug mit 6.000 Euro. Der Klimazuschuss erhöht diese Summe um jeweils 3.000 Euro und finanziert die restliche Summe über ein zinsloses Darlehen. Somit kommt es für Betroffene zu keiner Mehrbelastung. Andere Länder wie Österreich machen uns vor, wie Klimazuschüsse für Geringverdienende zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. Klimaschutz wird so für alle möglich, bezahlbar und rechnet sich langfristig.
- Übernahme der höheren Heizkosten durch Vermieter*innen
Energetisch modernisierte, klimagerechte Wohnungen für alle helfen dem Klima und sparen jeden Monat bares Geld. Deshalb muss ein modernes Energiesparrecht mit wirksamem Mieterschutz und gezielter Förderung einhergehen. Das belebt die Konjunktur und schafft Beschäftigungsperspektiven im Handwerk, dem Baugewerbe und der lokalen Energieproduktion.
Unser Konzept eines Klimawohngeldes sieht einen Zuschuss zu den Wohnkosten vor, damit sich auch Menschen mit kleinen Einkommen energetisch sanierten Wohnraum leisten können. So stellen wir sicher, dass energetische Modernisierung nicht für Verdrängung missbraucht wird und auch Menschen mit kleinerem Einkommen in energetisch hochwertigen Häusern und Wohnungen leben können.
Mieter*innen dürfen nach unserer Vorstellung nicht auf den CO2-bedingten Mehrkosten bei der Heizung sitzenbleiben. Sie haben faktisch keine Möglichkeit, die Art der Heizung zu wählen. Indem wir den Vermieter*innen weitgehend die Zahlung der höheren CO2-Kosten übertragen, setzen wir Anreize für einen Heizungstausch oder die energetische Sanierung.
- Arbeitsmarkt und untere Einkommen stabilisieren
Je größer der Zusammenhalt, desto größer die Bereitschaft zur Veränderung. Die Frage des Zusammenhalts wird somit auch ein entscheidender Gradmesser für das Gelingen der sozial-ökologischen Transformation. Um der Spaltung der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen, müssen wir zuallererst dort ansetzen, wo Ungleichheit entsteht. Der Arbeitsmarkt spielt hierbei eine ganz entscheidende Rolle.
Wir wollen, dass der Mindestlohn auf 12 Euro angehoben wird, Tarifverträge erleichtern und die Tarifbindung erhöhen. Wichtig sind Regeln, um prekäre Beschäftigung zu verhindern und die Entlastung von unteren und mittleren Einkommen – etwa, indem wir den Grundfreibetrag erhöhen. Wir sorgen für ein stabiles Sicherheitsnetz, das alle trägt und in Notlagen und vor Armut schützt.
- Eine aktive Industriepolitik
Um Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, muss die ökologische Transformation der Wirtschaft rasch erfolgen. Ein starres Festhalten an alten, klimaschädlichen Produkten und Produktionsprozessen wird dazu führen, dass wir die heute noch gute Wettbewerbsposition gegenüber der internationalen Konkurrenz verlieren.
Der globale Wettbewerb um zukunftsfähige Technologien ist in vollem Gange. Im Bereich der Elektromobilität, aber insbesondere bei der Batteriezellproduktion hinken wir bereits hinterher. Auch aus diesem Grund müssen wir durch zusätzliche Forschung und Entwicklung Branchen bei der Entwicklung und Markteinführung klimaneutraler Technologien unterstützen.
Auch in einer CO2-freien Wirtschaft werden wir die Industrieproduktion etwa von Stahl, Zement oder Chemie im Land halten. Unternehmen können im Übergang in CO2-neutrale Industrieprozesse Maßnahmen zum Grenzausgleich helfen und vor ausländischem Dumpingwettbewerb schützen. Mit Klimaverträgen sollte der Staat Unternehmen die Investitionsmehrkosten ausgleichen, wenn sie klimaneutral produzieren. Nur eine aktive Industriepolitik ist der Garant dafür, dass so viele gute Arbeitsplätze wie möglich im Land gehalten werden können.
- Qualifizierung wird wichtiger denn je
Neue Zeiten erfordern neue Kompetenzen. Auf die Unternehmen in den „alten“ Industrien und ihre vielen Beschäftigten kommt eine Reihe großer Herausforderungen zu, die sie gleichzeitig zu bewältigen haben: Ökologische Transformation, Automatisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und Fachkräftemangel.
Im Sinne einer vorausschauenden Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik sind daher Instrumente notwendig, die im Strukturwandel an der kollektiven Betroffenheit der Beschäftigten ansetzen und damit präventiv Beschäftigungsabbau verhindern und den Beschäftigten neue Chancen und Perspektiven eröffnen. Arbeiter*innen sollen selbstbestimmt über ihren Arbeitsplatz der Zukunft entscheiden können.
Deshalb muss das bestehende Transfer- Kurzarbeitergeld reformiert werden. Gleichzeitig soll ein neues Instrument, das Qualifizierungs-Kurzarbeitergeld, geschaffen werden, das die Unternehmen dabei unterstützt, während der Phase des Umbaus die Beschäftigungsverhältnisse im Unternehmen zu erhalten und die Beschäftigten nachhaltig zu qualifizieren.
- Verlässliche Unterstützung für Regionen im Strukturwandel
Ganz besonders herausfordernd ist die ökologische Transformation für strukturschwache Regionen. Brechen dort ganze Industriezweige weg, drohen diese Regionen endgültig abgehängt zu werden.
Um hier Belastungen zu vermeiden und die Chancen einer gelingenden Modernisierung zu erhöhen, braucht es neben besonderer Strukturhilfen und einer zukunftsweisenden Gründungs- und Ansiedelungspolitik den unbedingten Willen, die Verpflichtung des Grundgesetzes nach gleichwertigen Lebensverhältnissen endlich einzulösen.
Ziel ist es hierbei, allen Bürger*innen – egal ob in der Stadt oder auf dem Land – gleichwertige Möglichkeiten in Bezug auf Freizeit, Mobilität, Kommunikation, Bildung, Teilhabe, Gesundheitsversorgung und Arbeiten zu gewährleisten. Wir wollen hierfür einen Pakt für lebenswerte Regionen schließen, der Regionen in Ost und West mit jährlich einer Milliarde Euro zusätzlich fördert.
Quelle: www.t-online.de
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