Veröffentlichung des Gesetzesvorschlags zu neuer Gentechnik: Leichtmatrosen im Maschinenraum der Natur

Der vorgelegte Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung gentechnischer Verfahren im Pflanzenbau hebelt Vorsorgeprinzip und Transparenz aus. Aus diesem Anlass kommentiert Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses:

„Unsere Befürchtungen wurden mit diesem Vorschlag wahr: Züchter, Landwirte und Lebensmittelhersteller können zukünftig eine Kontamination mit gentechnisch veränderten Stoffen nicht mehr vermeiden, da die Entwickler der gentechnischen Veränderungen ihre Nachweismethoden für sich behalten dürfen. Profitieren werden die großen multinationalen Agro-Unternehmen, denn sie können die nicht gekennzeichneten – aber patentierten – Produkte verwenden und damit ihre Kontrolle über unsere Lebensmittelproduktion weiter ausbauen.

Die EU-Kommission erweist Mensch und Natur mit diesem Vorschlag nicht nur einen Bärendienst, sie wirft damit sowohl die Basis der Wissenschaftlichkeit, als auch das Vorsorgeprinzip, die Wahlfreiheit und den Verbraucherschutz über Bord. Klar ist: Auch die sogenannte neue Gentechnik ist und bleibt eine Risikotechnologie mit ungewissem Ausgang und muss sich einem strengen Zulassungsprocedere mit Risikoprüfung unterziehen. In Zeiten, in denen kein Staubsauger ohne Prüfkennzeichen auf den Markt kommen darf und kein öffentliches Gebäude ohne Brandschutzzertifikat abgenommen werden kann, sollte kein Unternehmen und kein Labor mit Freifahrtschein Veränderungen im Genom vornehmen dürfen, deren unbeabsichtigte Effekte nicht beherrschbar sind.

Hinzu kommt: Gentechnik-Saatgut ist patentiert und damit von der weiteren gemeinsamen Züchtung ausgeschlossen, da unerschwinglich. Es braucht aber frei nutzbares Saatgut für Züchterinnen und Züchter, die damit lokal angepasste Sorten weiterzüchten können.

Statt für Missbrauch Tür und Tor zu öffnen und Konzernen Marktmacht direkt in die Hände zu legen, sollten wir zweierlei tun: Risikotechnologie, wie die neue Gentechnik gut und nach dem Vorsorgeprinzip regulieren und andererseits die bekannten, deutlich risikoärmeren und gut funktionierenden naturbasierten Lösungen, wie Agrarökologie und Ökolandbau, vorantreiben. So können wir durch behutsamen Umgang mit unseren Ressourcen und standortangepasster Züchtung stabile Systeme erzeugen, die die Anpassung an den Klimawandel schaffen und unsere Ernährung sichern.

Den Beweis, dass Gentechnik das auch kann, ist diese bisher schuldig geblieben, im Gegenteil:
Wohin das führt, zeigt sich in den USA. Auch dort hat man bei Einführung der ‚alten‘ Gentechnik die große Nachhaltigkeit versprochen, doch seitdem hat sich dort der Verbrauch von Pestiziden deutlich erhöht. Und auch die neue Gentechnik erzeugt dort – ohne strenge Zulassung – keinerlei bahnbrechenden Erfolge.“

Link zu Martin Häuslings Kommentierung des Leaks vom 20.06.23
Link zum Factsheet Gentechnik

8 Argumente warum Gentechnik – alte und neue – reguliert bleiben muss
Gentechnik – alte und neue – muss reguliert bleiben,

  • weil die Verfahren der „neuen genomischen Techniken“ eben kein Turbo-Zuchtprogramm sind, sondern technische Veränderungen des Genoms. Diese können, wie Studien belegen, zahlreiche unbeabsichtigte Effekte mit sich bringen, die ohne Sicherheitstests und Zulassungsprocedere in ihren Folgen auf Natur und Lebensmittelsicherheit nicht abzuschätzen sind.
  • weil Gentechnik daher eine Hochrisikotechnologie ist – sie ohne Risikoprüfung einzusetzen ist fahrlässig. Jedes Hochhaus, jede Brücke muss ausführlichen Sicherheitstests unterzogen werden, bevor sie in Betrieb genommen werden darf. Autos sind nur für den Straßenverkehr zugelassen, wenn sie durch den TÜV gekommen sind.
  • weil Verbraucherinnen und Verbraucher selbst entscheiden können müssen, ob sie Produkte kaufen, die mit oder ohne Gentechnik hergestellt wurden. Genauso wie man sich über den Zucker- oder Fettanteil eines Produktes beim Einkaufen informieren kann, muss das auch bei gentechnisch veränderten Bestandteilen von Pflanzen und verarbeiteten Lebensmitteln möglich sein. Dafür braucht es eine entsprechende Kennzeichnung.
  • weil Europa ein gesetzlich verankertes Vorsorgeprinzip hat. Interaktionen von gentechnisch veränderten Pflanzen im Freiland mit der Umwelt müssen ausführlich untersucht werden, bevor man sie für ungefährlich erklären kann. Hierzu braucht es Sicherheitstests und nach einer Zulassung ein Anbau- und Standortregister.
  • weil Saatgut für Züchterinnen und Züchter frei verfügbar sein muss, damit diese lokal angepassten Sorten weiterzüchten können. Sobald gentechnisch verändertes Saatgut patentiert wird, wird Innovation in der klassischen Züchtung verhindert.
  • weil eine Co-Existenz von Feldern, auf denen gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen und Feldern, auf denen das per Anbausystem verboten ist, praktisch undurchführbar ist und die Entwicklung des Biolandbaus- und des gentechnikfreien Lebensmittelsektors nicht dadurch ausgebremst werden darf, dass es den biologisch arbeitenden Landwirten und Verarbeitern ökonomisch und juristisch aufgeladen wird, ihre Gentechnikfreiheit nachzuweisen.
  • weil uns die rasante Erderwärmung, die Wasserknappheit und der Artenschwund – maßgeblich mit verursacht durch intensive Landwirtschaft – demonstrieren, dass ein Arbeiten mit der Natur dringend erforderlich ist und kein Weiter-so-wie-bisher verbunden mit der Hoffnung, dass die neuen Techniken uns aus der Patsche helfen werden.
  • weil auch die neue Gentechnik im Doppelpack mit Pestizidtoleranzen kommt, was dazu führt, dass der Pestizideinsatz steigt. Mehr Pestizide bedeuten mehr tote Insekten, Gliederfüßler, Amphibien, Vögel, ‚Beikräuter‘, ergo: weniger Artenvielfalt.

Quelle: https://martin-haeusling.eu

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